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Yoga und Depression

Bea ist Yogalehrerin bei uns im Yoginzky und hat in 2021 an der 300er-Stunden-Ausbildung teilgenommen. Im Rahmen davon entstand dieser Beitrag. Bea interessiert sich schon lange für das Thema Depression und Yoga und plant momentan einen Workshop zum Thema.


Yoga und Depression - Ein Blick in die Yogaphilosophie zu Patanjali`s Yoga Sutra


Forschungen der letzten Jahre zeigen eindeutig, dass Yoga Depressionen lindern kann. In den Studien wurden vorwiegend Yoga-Interventionen, wie Asanas (Körperübungen), Pranayama (Atemübungen) und Meditation erforscht. Neben den genannten Aspekten, spielt auch die Philosophie im Yoga eine große Rolle. Doch welche Sicht auf Depressionen lassen sich in einer der bedeutsamsten Yogaschriften, im Yoga Sutra finden? Und welche Möglichkeiten bietet es Depressionen zu lindern?

Was ist eine Depression? Depressive Störungen gehören weltweit zu den häufigsten (psychischen) Erkrankungen, die nicht selten tödlich enden. Das Risiko an einer Depression zu erkranken ist in den letzten zehn Jahren in den westlichen Industriestaaten drastisch gestiegen. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Typische Symptome einer Depression nach ICD-10 Diagnosekriterien sind: Niedergeschlagenheit, Freud- und Interessenlosigkeit, Energie-, Kraft- und Antriebslosigkeit, niedriges Selbstwertgefühl, sowie Gefühllosigkeit. Hinzu können weitere Symptome, wie körperliche Beschwerden in Form von Schmerzen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Grübeln, Schuldgefühle, Angst und Suizidalität kommen. Wenn mehrere der genannten Symptome mindestens 14 Tage durchgängig auftreten, kann eine Depression diagnostiziert werden. Depressionen können sich sehr unterschiedlich darstellen. Betroffene können sich wie gelähmt, unruhig, nervös und/oder leicht reizbar fühlen. Auch das Ausmaß einer Depression kann sehr unterschiedlich schwer sein. Der Leidensdruck für die Betroffenen ist meist sehr hoch. Die Ursachen für das Ausbrechen einer Depression sind sehr unterschiedlich. Häufig stehen Depressionen jedoch in engem Zusammenhang mit Stress. Forschungen haben gezeigt, dass die normale Hirnfunktion der Betroffenen und somit die Affektregulation beeinträchtigt und der Sympathikus des vegetativen Nervensystems im Übermaß aktiv ist. Zudem ist der Bereich des Gehirns sehr aktiv, der für das Angsterleben zuständig ist. Das erklärt, warum bei 70 - 80% der Betroffenen Depressionen in Verbindung mit Angststörungen auftreten.


Yoga und das Yoga Sutra kurz erklärt Yoga ist ein ganzheitlicher Übungsweg, der vor ca. 5.000 Jahren in Indien entstand und sich seitdem in seinen Methoden stetig weiterentwickelt hat. Es ist eine der ältesten Wissenschaften, die sich mit der Ganzheitlichkeit des Menschen beschäftigt, mit den Ursachen für Leid und was man wirkungsvoll und nachhaltig dagegen tun kann. Alte Yogaschriften, wie das Yoga Sutra von Patanjali erläutern, warum unser Geist unklar und unruhig ist und nennen als Ursache vorwiegend, dass die Hauptelemente unseres Seins, Körper, Geist und der Atem (manche sprechen auch von einer Seele), in unserem Alltag oftmals getrennt voneinander sind. Yoga greift genau diese Problematik auf und bietet eine Vielzahl an Übungen und Prinzipien, die Körper, Geist und unseren Atem wieder miteinander verbinden sollen. Eines der Ziele von Yoga ist laut Patanjali: „yogah cittavritti nirodah“, was soviel bedeutet, wie „Yoga ist der Zustand, in dem die Gedanken zur Ruhe kommen“. Wenn dies geschieht, kann die Verbindung zu unserem Wesenskern hergestellt werden. Das Yoga Sutra ist ein Leitfaden (Sutra = Faden) für die Befreiung von Leid durch Yoga. Es besteht aus 195 Versen und wird in 4 Kapitel aufgeteilt. Im Yoga Sutra geht es um die Auseinandersetzung mit unserem Geist, unserem Citta oder auch das meinende, denkende Selbst genannt. Die zentrale Idee des Yoga Sutra ist es den Geist zu erforschen und zu verstehen, um so einen klaren Weg aus schwierigen Situationen zu finden. Über den/die Autor*in Patanjali ist nicht viel bekannt und bis heute ungeklärt, ob es sich um eine einzelne Person oder um mehrere Autor*innen handelt.

Depression aus der Sicht des Yoga mit Bezug zum Yoga Sutra Yoga beruht auf der buddhistischen Annahme, dass Leid zum Menschsein dazu gehört. Leid entsteht dadurch, dass unser Geist (Citta), der in seiner natürlichen Form aktiv ist für viel Unruhe in uns sorgen kann. Laut Patanjali entsteht Krankheit dann, wenn die Aktivitäten des Citta aus dem Gleichgewicht geraten, was bei einer Depression der Fall ist. In dem Vers 1.31 beschreibt er, wenn Citta zerstreut ist, dass dann „leidvolle Enge, eine pessimistische Ausrichtung des Geistes, körperliche Unkontrolliertheit und der Verlust der Kontrolle über den Atem (und damit über die Psyche) entsteht“. Dieses Sutra beschreibt ähnliche Symptome, wie die einer Depression. Die Aktivitäten des Geistes benennt Patanjali Vrittis und sagt über sie, dass die Vrittis sowohl Leid, als auch Erleichterung bringen können. Damit drückt er aus, dass nicht unsere Gedanken an sich das Problem sind, sondern vielmehr, wie wir damit umgehen.

Er beschreibt zudem im Yoga Sutra die 5 sogenannten Kleshas (= Qual, Schmerz, Leiden). Die Kleshas sind in uns wirkende Kräfte, die besonders dann für uns zur Herausforderung werden, wenn Citta unausgeglichen und unsere Vrittis besonders aktiv sind. Zu ihnen gehören: Falsches Verstehen (Avidya), unser Ego bzw. ein falsches Verständnis unserer Person (Asmita), Gier (Raga), Ablehnung (Dvesha), und unbegründete Angst (Abhinivesha). In Hinblick darauf, dass bei 70 - 80% der Betroffenen mit Depressionen auch Angststörungen auftreten, kann an dieser Stelle erneut eine Parallele zwischen dem Leiden, das Patanjali beschreibt und Depressionen in der heutigen Gesellschaft gezogen werden.

Ansätze aus dem Yoga Sutra, um Depressionen zu lindern Gleich zu Beginn in Kapitel 2 stellt Patanjali Handlungen vor, die die Kleshas schwächen und somit Leid lindern. Durch Svadhyaya (= Selbststudium) kann die eigene Situation reflektiert werden. So kann das Erkennen und Verstehen der persönlichen Sichtweise entstehen. Durch Svadhyaya kann (an-) erkannt werden, dass es ein Problem gibt. Mit Tapas (= Brennen, Verzicht, Leidenschaft) und Isvarapranidana (= hingebungsvolles, ewartungsfreies Handeln) können regelmäßig Yogaübungen praktiziert werden. Damit ist gemeint, dass Trägheit überwunden wird bei gleichzeitiger niedriger Erwartungshaltung. Im Falle einer Depression kann Tapas dabei helfen, um morgens aus dem Bett aufzustehen und etwas Aktivität in den Tag zu bringen. Isvarapranidana hilft dabei, dass es weniger wichtig ist, welche Form von Yoga und in welchem Ausmaß geübt wird, sondern mit einer gewissen Erwartungsfreiheit und Hingabe. Zwei ähnliche Prinzipien, die zusammengehören lassen sich auch in Kapitel 1 finden, die dabei In Vers 1.12 spricht Patanjali erstmals über die Begriffe Abhyasa (das stetige Üben) und Vairagya (Gleichmut, Gelassenheit, Loslassen-Können) und erklärt, dass „Durch Abhyasa und Vairagya die dynamische Stille des Citta erreicht werden kann.“ Abhyasa lädt dazu ein, an dem, was wir erreichen wollen, dranzubleiben und es immer wieder zu tun, unabhängig davon wie gut es uns gelingt. Mit Vairagya können wir lernen in unseren Bemühungen Gelassenheit zu finden, und erwartungsfrei zu bleiben. Dieser Ansatz kann besonders hilfreich für Menschen mit Depressionen sein, die oftmals einen hohen inneren Druck und das Gefühl von „nicht gut genug sein“ empfinden. Je öfter wir Abhyasa und Vairagya üben, umso eher kann eine Wandlung geschehen. Dabei ist es wichtig eine Balance zwischen beiden Prinzipien zu finden, um weder zu starr, noch zu nachlässig zu sein. In der

Balance unterstützen Abhyasa und Vairagya Menschen mit Depressionen darin, den Kreislauf aus Antriebslosigkeit zu durchbrechen.

Zusammenfassung Depressionen nehmen vor allem in der westlichen Welt stark zu. Die Wirksamkeit zur Linderung von Depressionen durch Yoga ist bereits erforscht. In Patanjali`s Yogaphilosophiewerk lassen sich Aspekte finden, die menschliches Leid, ähnlich einer Depression beschreiben. Er beschreibt menschliches Leid in Form der Kleshas und liefert Ansätze, wie sie überwunden werden können. Ein Beispiel dafür sind die Prinzipien Abhyasa und Vairagya. In der Balance aus Bemühen und Loslassen kann Stück für Stück der Leid und so auch der Leidensdruck einer Depression gelindert werden. Yoga ist jedoch kein Allheilmittel für Depressionen, sondern vielmehr eine sinnvolle und nachhaltige Ergänzung zu möglichen anderen Therapieformen, wie Medikamente oder Psychotherapie. Besonders bei schwerwiegenden Depressionen sollte immer professionelle Hilfe aufgesucht werden.

Quellenangaben Bücher:

  • Yoga bei Depressionen – Anna Trökes

  • Neuro-Yoga – Anna Trökes und Bettina Knothe

  • Patanjali Das YogaSutra: Von der Erkenntnis zur Befreiung – R. Sriram

  • Yoga as medicine – The yogic prescription for health and healing – Mehmet Oz, M.D.

  • One Simple Thing – A NEW LOOK AT THE SCIENCE OF YOGA AND HOW IT CAN TRANSFORM YOUR LIFE – Eddie Stern Studien:

  • The Efficacy of Yoga as a Form of Treatment for Depression, 2017, Ledetra Bridges, Manoj Sharma

  • Effects of yoga on depressive symptoms in people with mental disorders: a systematic review and metaanalysis, 2020, Jacinta Brinsley , Felipe Schuch, Oscar Lederman, Danielle Girard,1 Matthew Smout, Maarten A Immink, Brendon Stubbs, Joseph Firth, Kade Davison, Simon Rosenbaum

  • Effects of yoga on depression and anxiety of women, 2009, M.Javnbakhta, R.Hejazi, KenaribM.Ghasemic

  • How Might Yoga Help Depression? A Neurobiological Perspective, 2013, Patricia Anne Kinser, Lisa Goehler, Ann Gill Taylor


Internetquellen:

  • WHO: Definition einer Depression, https://www.euro.who.int/de/health- topics/noncommunicable-diseases/pages/news/news/2012/10/depression-in- europe/depression-definition, Stand November 2021

  • https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/depression.html, Stand November 2021

  • RKI Gesundheitsmonitoring 12-Monats-Prävalenz der selbstberichteten ärztlich diagnostizierten Depression in Deutschland, https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/FactSheets/JoHM_03_2017_Praevalenz_Depression.pdf?__b lob=publicationFile, Stand 2021


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