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Sthira sukham asanam - Der Effekt gesunder Faszien auf Stabilität & Leichtigkeit in Yogahaltungen


Diese Abschlussarbeit entstand im Rahmen unserer 300 Stunden Yogalehrerinnen-Ausbildung. Denise ist fester Bestandteil unserer Community und unterrichtet derzeit zwei feste Kurse. TIPP: Faszien-Yoga-Special mit Denise an Ostermontag, 10.04.2023 von 16:00 bis 17:30 Uhr


Einführung: Was sind Faszien?

Der Begriff „Faszien“ kann synonym zum Begriff „Bindegewebe“ verwendet werden. Eine umfassendere Definition beschreibt Faszien als „kollagenes, faseriges Bindegewebe, das als Element eines körperweiten Spannungsnetzwerks zur Kraftübertragung betrachtet werden kann“ (Vgl. Schleip, 2019, S. 22). Faszien durchdringen den ganzen Körper, umhüllen Organe und Muskeln und geben unserem Körper halt. Häufig wird das Bild einer Grapefruit oder Orange verwendet, um dieses Netzwerk zu veranschaulichen: Das Fruchtfleisch der Orange ist in Segmenten angeordnet, die von einer dünnen Haut umschlossen sind. Werden die einzelnen Orangenschnitze wiederum zerschnitten, wird sichtbar, dass das Fruchtfleisch in weitere kleine Segmente unterteilt ist, die jeweils von einer dünnen Haut umhüllt sind. Die Faszien kann man sich wie diese Häute bzw. Umhüllungen vorstellen, sie geben der Muskulatur ihre Form, so wie die Häute und die Schale der Orange ihre Form geben.

Im Fasziengewebe kommen zwei Strukturproteine vor, Kollagen und Elastin. Kollagen ist sehr zugfest, wohingegen sich Elastin durch seine elastischen Eigenschaften auszeichnet. Elastinfasern lassen sich bis auf das 1,5-Fache ihrer normalen Länge dehnen und kehren in ihre ursprüngliche Form zurück ohne zu reißen (Vgl. Clark, 2018, S. 233). Kollagen und Elastin bilden die Fasern der Faszien. Neben den Fasern und den Bindegewebszellen, die Kollagen und Elastin produzieren, besteht das Fasziengewebe aus Wasser, Nährstoffen und weiteren Zellen. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Bestandteilen und der Wasseranteil des Gewebes variiert je nach Lokalisation im Körper. Durch die unterschiedliche Zusammensetzung und dem daraus resultierenden variablen Flüssigkeitsanteil gibt es verschiedene Typen der Faszien, z.B. lockeres Bindegewebe, das Zwischenräume füllt und die Organe schützt, oder straffes Bindegewebe, das Sehnen und Bänder bildet (Vgl. Schleip, 2018, S. 29).


Faszien im Bewegungsapparat

Muskeln und Faszien bilden eine Einheit. Jede einzelne Muskelfaser, die Faserbündel und der ganze Muskel sind jeweils von einer dünnen Faszienschicht umhüllt (Vgl. Schleip, 2018, S. 40). Unsere Muskulatur kann somit nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur als myofasziale (Muskel-Faszien-)Einheit. Zudem sind Muskeln über Sehnen (ebenfalls Faszien) mit dem Skelett verbunden.

Lange Ketten von myofaszialen Einheiten verbinden mehrere Körperteile miteinander. Diese Zugbahnen sind wesentlich an effizienten Bewegungen, Haltung und Statik des Körpers beteiligt. Spezielles Faszientraining, aber auch das Ausführen von Yogahaltungen, stimuliert die Faszienzugbahnen des Körpers. Dadurch können Koordination und Beweglichkeit verbessert werden. Isoliertes Krafttraining einzelner Muskelgruppen kann die Halte- und Bewegungsfunktionen der Zugbahnen hingegen nicht optimal unterstützen.

Mit zunehmendem Alter, und wenn das Fasziengewebe nicht gefordert wird, degeneriert und verfilzt es. Die Wellenform der Kollagenfasern flacht ab und die netzförmige Ausrichtung der Kollagenfasern geht verloren, was zu Verklebungen führt (Vgl. Schleip, 2018, S. 99). Die Kraftübertragung der Muskulatur ist weniger effizient, der Körper wird insgesamt steifer und das Gewebe weniger elastisch. Um eine umfassende Beweglichkeit und ein reibungsloses


Funktionieren der myofaszialen Einheiten der langen Faszienbahnen zu erhalten, sind spezielles Faszientraining oder Yogaübungen sehr sinnvoll.


Grundlagen der Yogahaltungen (Asanas)

In Patanjalis Yogasutra wird in Vers 2.46 die Essenz der Asanas beschrieben: „Sthira sukham asanam“, was übersetzt so viel wie „Die ideale Haltung ist stabil und leicht zugleich“ bedeutet (Vgl. Sriram 2006, S. 151). Stabilität lässt sich auf den ersten Blick durch Muskelspannung erzeugen wohingegen Leichtigkeit Entspannung suggeriert. Ein Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung wird in der idealen Haltung vorausgesetzt. Auch kann man sagen, dass Stabilität und Beweglichkeit in einem Gleichgewicht stehen müssen, um eine Haltung optimal auszuführen.

Hier kann man bereits Parallelen zum Fasziengewebe feststellen. Die festen Kollagenfasern geben Stabilität, das elastische Elastin fördert die Beweglichkeit und damit die Leichtigkeit. Erst die Anpassungsfähigkeit des Fasziengewebes ermöglicht es uns, bestimmte Yogahaltungen einzunehmen.

Eddie Stern schreibt zu Vers 2.46 unter anderen: „Not all yoga postures will be comfortable the first few times (or months, or years) that we do them. But over time, our body and mind will adjust to them“ (Stern, 2019, S. 63). Das Fasziengewebe ist maßgeblich daran beteiligt, dass sich unser Körper an Asanas anpasst und diese für uns leicht bzw. angenehm werden. Fasziengewebe ist formbar (Vgl. Myers/Earls, 2021, S. 24). Wenn Asanas häufig und über längere Zeit ausgeführt werden und dadurch das Fasziengewebe beansprucht wird, verändert sich die Anordnung der Kollagen- und Elastinfasern und das Fasziengewebe kann in einen optimierten und der Beanspruchung angepassten Zustand gebracht werden. In Folge dessen können Asanas für uns stabiler und zugleich angenehmer werden.

Das Tensegrity-Modell Der Körper wird nicht durch die Knochen zusammengehalten, sondern die Faszien halten den Körper aufrecht und erhalten die strukturelle Integrität (Vgl. Schleip, 2018, S. 84). Muskeln und Faszien erzeugen ein dynamisches Spannungsnetzwerk. Dies lässt sich durch das Tensegrity- Modell veranschaulichen (der Begriff Tensegrity ist aus den englischen Wörtern tension, „Spannung“, und integrity, „Einheit“ oder „Zusammenhalt“, zusammengesetzt). Das Tensegrity- Modell stammt aus der Architektur und Kunst. Zusammengesetzt aus stabilen und elastischen Elementen, hält die Zugspannung der elastischen Elemente, welche die stabilen Elemente verbinden, die Form im Tensegrity-Modell aufrecht. Abb. Tensegrity-Modell. Girling, (2021), Seite 118



Auch der menschliche Körper verhält sich aufgrund der Eigenschaften der Faszien wie ein Tensegrity-Modell (Vgl. Schleip, 2018, S. 87). Wenn in einer Region des Körpers ein Zug oder eine Spannung auftritt, verteilt sich diese Kraft über dieses Netzwerk auf den gesamten Körper.

Beim Ausführen von Asanas wird der Zusammenhalt dieses Spannungsnetzwerkes für uns spürbar, beispielsweise wenn eine minimale Änderung der Fußstellung eine intensivere Dehnung in anderen Körperbereichen hervorruft. Dies lässt sich mit der Zugverteilung im Tensegrity-Modell vergleichen. Wir können in der Asanapraxis die lebendige Form des Tensegrity-Modells erkunden, das durch das Gleichgewicht von Steifigkeit und Elastizität dem Körper Struktur gibt (Vgl. Schleip, 2019, S. 284). Auch lässt sich die in Yogaasanas geforderte Stabilität und Beweglichkeit nur mit Hilfe der Faszien erreichen.


Schlussfolgerung

Faszien sind essenziell, um Yogahaltungen stabil und leicht zugleich einnehmen zu können. Faszien sind außerdem von Nerven durchzogen und sehr schmerzempfindlich. Sie geben uns somit eine direkte Rückmeldung, ob Stabilität und Leichtigkeit erreicht sind und wir bequem und sicher in einer Haltung verweilen können. Selbstverständlich haben aber nicht nur die Faszien einen Einfluss auf unsere Yogahaltungen, sondern auch die Asanapraxis wirkt sich direkt auf unser Fasziengewebe aus. Die natürliche Elastizität des Fasziengewebes wird durch Asanapraxis weiter gefördert. Faszien und Yogahaltungen stehen in einer wechselseitigen Beziehung, weshalb es sich lohnt, sich als Yogini oder Yogi mit dem Thema Faszien zu beschäftigen. Um uns in den Haltungen optimal auszurichten, sollten wir daher überlegen, wie wir unsere Faszien unterstützen und gesund halten können.


Tipps für gesunde Faszien

- Generell viel und möglichst abwechslungsreiche Bewegung, einseitige Bewegungsmuster und - abläufe vermeiden. Gezieltes Faszientraining mit federnden und hüpfenden Bewegungen, sowie lange gehaltenen passiven Dehnungen, ist auch möglich. Dabei sollten die gesamten Faszienzugbahnen eingeschlossen werden. Spezielle Faszien-Tools (Bälle, Rollen) und Massagetechniken können hierbei eingesetzt werden. - Ausgewogene Ernährung mit ausreichend hoher Flüssigkeitszufuhr - Stress reduzieren - Ausreichend Schlaf und Zeit für Regeneration Insgesamt lässt sich feststellen, dass ein gesunder Lebensstil die Faszien fit hält (Vgl. Schleip, 2018, S. 286). Selbstverständlich gehört dazu auch der Verzicht auf Rauchen, Alkohol und andere Drogen, sowie das Reduzieren von Übergewicht.


Meine persönlichen Erfahrungen mit Faszientraining

Ich selbst nutze schon seit Längerem regelmäßig Faszienrollen und -bälle und stelle einen deutlichen Einfluss auf meine Asanapraxis fest. Durch das Faszientraining fühle ich mich deutlich beweglicher. Eine erhöhte Beweglichkeit hilft mir, mehr Leichtigkeit in den Asanas zu finden. Vielen Haltungen fühlen sich für mich angenehmer und zugleich stabil an. Mich persönlich bringt Faszientraining näher an den Zustand von „sthiram“ und „sukham“ in den Asanas heran. Daher

versuche ich mein Fasziengewebe gesund zu halten und ich empfehle allen Menschen, unabhängig davon ob sie Yoga praktizieren oder nicht, ihrem Fasziengewebe mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Literaturverzeichnis

Clark, B. (2018). Das Grosse Yin Yoga Buch. Stuttgart, Deutschland: TRIAS Verlag Girling, S. (2021). Illustrated Yoga Anatomy. Eigenverlag Myers, T./ Earls, J. (2021). Faszien-Release zur Verbesserung der Körperhaltung. München, Deutschland: riva Verlag Schleip, R. (2019). Faszien in Sport und Alltag. München, Deutschland: riva Verlag Schleip, R. (2018). Faszien Fitness. München, Deutschland: riva Verlag Sriram, R. (2006). Patanjali Das Yogasutra. Bielefeld, Deutschland: Theseus Verlag Stern, E. (2019). One Simple Thing. New York, USA: North Point Press

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