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Schulterverletzung - speziell das Impingement-Syndrom und die Auswirkung auf die Bhavanas

Zur Autorin: Das hier ist die Hausarbeit von Anna-Rita Bechtel, die 2021 im Rahmen ihrer 300er-Stunden-Ausbildung entstanden ist. Anna-Rita ist Yogini und Yogalehrerin mit Leidenschaft, unterrichtet Fitness mit Hund, wird im Winter 2022 Mama und liebt ihren Hund Emma. Hier geht es zu ihrer Insta-Seite


Intro: Diese Ausarbeitung gibt einen Überblick über die Bhavanas und wie diese durch eine Verletzung, im Speziellen das Impingement-Syndrom, beeinflusst werden können und basiert auf eigenen Erfahrungen.

Was sind die Bhavanas

Einfach ausgedrückt sind Bhavanas Gemütszustände eines Menschen. Im Yogasutra werden die Bhavanas als Herzensqualitäten bezeichnet. Insgesamt gibt es vier Bhavanas. Um näher auf die Bhavanas eingehen zu können ist an dieser Stelle ein kurzer Einblick in das Ziel des Yoga hilfreich.

Im Yogasutra wird im Sutra 1.2 Yoga wie folgt beschrieben: „Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des Citta (des meinenden Selbst) in eine dynamische Stille übergehen.“1 Folglich ist das Ziel des Yoga, die Gedanken zu beruhigen, um einen klaren Blick auf das Wesentliche zu bekommen. Die Gedanken eines Menschen basieren auf Erinnerungen, Erlebtem aus der Vergangenheit, durch Erzählungen, empfangene Geschichten oder Informationen durch die Medien, durch die Erziehung der Eltern oder auch Traumata. Zusammengefasst entwickeln und formen sich die Gedanken durch das Leben. Zu viele Gedanken können die Sicht auf das Wesentliche verschleiern und den Zugang zu positiven Erfahrungen versperren.2 Dies kann sich auf den Umgang mit sich selbst und den mit unseren Mitmenschen auswirken, weshalb es von Vorteil sein kann, seine eigenen Gedanken steuern zu können. Gedanken bei Bedarf zuzulassen und diese aber auch wieder beiseite schieben zu können, um eine reine Sicht auf das Wesentliche zu erlangen und dabei die Herzensqualitäten zu kultivieren. Nur wer mit sich selbst im Einklang ist und eine klare Sicht auf die Dinge hat, dem ist es möglich die Herzensqualitäten zu empfinden.3 Die Bhavanas werden im Yogasutra erläutert und befinden sich im Sutra 1.33:

„Citta (das meinende Selbst) wird allmählich klar, wenn wir uns aus innerer Überzeugung jeweils freundlich, hilfsbereit, begeisterungsfähig und verzeihend gegenüber Menschen verhalten, die sich in Situationen des Glücks, des Unglücks, des Lobenswerten oder des Ächtenswerten befinden.“4 Im Folgenden sind die vier Herzensqualitäten aufgelistet und definiert: maitri, karuna, mudita und upeksa.

  • Maitri bedeutet, Freundlichkeit oder Liebe. Dieses Verhalten bzw. das Gefühl soll ohne eine Erwartungshaltung gezeigt bzw. gefühlt werden.

  • Karuna bedeutet Mitempfinden oder Hilfsbereitschaft. Hierunter wird das Empfinden von Mitgefühl verstanden. Es soll kein Mitleid empfunden werden.

  • Mudita, bedeutet bestärkende Zuwendung, Enthusiasmus, Begeisterungsfähigkeit oder Ermutigung. Es soll Mitfreude statt Neid empfunden werden.

  • Upeksa wird mit verständnisvolles Abstandhalten oder vergebungsvolles Hinwegschauen übersetzt. Hier ist eine Art der inneren Gelassenheit gemeint. Ein Nachsichtiges Handeln, statt Gleichgültigkeit zu empfinden oder zu signalisieren. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Bhavanas das Verhalten eines ausgeglichenen, lebensbejahenden, friedvollen Menschen beschreiben.

Diese vier Herzensqualitäten klingen recht simpel, doch sind sie im Alltag nicht immer leicht umzusetzen. Befinden wir uns in Balance, praktizieren Yoga, steuern unsere Gedanken, können wir die Bhavanas fühlen und entsprechend handeln. Folglich haben die Herzensqualitäten eine direkte Auswirkung auf unsere Gedanken, auf unseren Gesundheitszustand, auf das eigene und das Leben unserer Mitmenschen. Doch was geschieht, wenn wir uns nicht im Gleichgewicht befinden? Was passiert, wenn wir Leid (duhkha) erfahren?5 Bspw. Leid durch eine Schulterverletzung? Können wir dann immer noch die Bhavanas spüren und diese umsetzen?

Die Schulter aus anatomischer Sicht

Die Schultern bestehen aus Knochen, Muskeln, Gelenke und Sehnen. Sie ermöglichen die Verbindung der Arme zum Rumpf. Die Schulter besteht aus drei Knochen - das Schulterblatt (Scapula), das Schlüsselbein (Clavicula) und dem Oberarmknochen (Humerus).6 Diese Knochen werden von vier großen Muskeln, dem Unterschulterblattmuskel, Untergrätenmuskel, Obergrätenmuskel, Schulterblattmuskel sowie vielen Bändern und Sehnen zusammengehalten. Diese Einheit wird als Rotatorenmanschette bezeichnet. Weiter gibt es noch das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers zu erwähnen – das Schultergelenk. Dieses besteht aus dem Oberarmkopf und der Schultergelenkpfanne. Die Rotatorenmanschette stabilisiert das bewegliche Schultergelenk. Unter dem Schulterdach befindet sich der größte Schleimbeutel des menschlichen Körpers. Dieser sorgt für die Beweglichkeit der Rotatorenmanschette und verringert die Reibungen der Knochen, Muskeln und Sehnen aneinander.7

Das Impingement-Syndrom

Wie eingangs beschrieben soll in dieser Ausarbeitung speziell auf das Impingement-Syndrom eingegangen werden. Mittlerweile leiden ca. 10 % der Bevölkerung in Deutschland an dem so genannten Impingement-Syndrom.8 Auf den Schleimbeutel, welcher sich unter dem Schulterdach befindet, wird Druck ausgeübt. Dadurch schwellt dieser an und klemmt die Supraspinatussehne ein oder sogar ab. Durch den geringen Platz unter dem Schulterdach entstehen Schmerzen beim Bewegen des Armes. Die Schmerzen entstehen überwiegend, wenn die Arme nach oben, über den Kopf, geführt werden. Das Impingement-Syndrom hat mehrere Ursachen. Eine Schleimbeutelentzündung, Verschleißerscheinungen wie Arthrose oder eine angeborene Enge in der Schulter können der Auslöser für diese Erkrankung sein. Doch was hat diese Schultererkrankung mit den Bhavanas zu tun?

Durch regelmäßiges und achtsames Praktizieren halten wir den Körper und den Geist fit. Wenn sich der Atem und die Bewegung miteinander verbinden, kann ein meditativer Zustand erreicht werden, der die Gedanken und die Sinne beruhigt. Die Energie fließt gleichmäßig durch den Körper und wir befinden uns im Gleichgewicht. Liebe- und friedvolle Gefühle können in uns wachsen. Die Gefühle tragen wir auf der Yogamatte in uns und transportieren diese abseits der Matte nach außen. Die Entwicklung der Bhavanas werden u.a. durch die körperliche Yogapraxis kultiviert. Durch das Impingement-Syndrom wird die Yogapraxis beeinträchtigt. Yogahaltungen (Asanas) wie bpsw. Urdhva Hastasana (Berghaltung mit gestreckten Armen) oder Vorbeugen wie bpsw. Uttanasana (stehende Vorbeuge) oder Adho Mukha Svanasana (herabschauender Hund) sind nicht schmerzfrei möglich. Die Yogapraxis muss an vielen Stellen modifiziert werden und kann – unter Umständen - temporär vollständig ausfallen.

Auswirkungen auf die Bhavanas

Bhavanas beschreiben unsere Gemütszustände. Wenn eine Verletzung auftritt, wird der Energiefluss zunächst gestört und das Gleichgewicht beeinträchtigt. Negative Gedanken und Gefühle können entstehen. Diese Gemütszustände können nach Innen aber auch nach Außen gerichtet sein. Im Yoga treffen wir auf unzählige Asanas, in welchen die Arme über den Kopf gestreckt werden sollen. Wenn ein Impingement-Syndrom vorliegt, können diese Asanas nur bedingt durchgeführt werden. Ohne Schonung oder Behandlung dieser Verletzung können diverse Asanas, manchmal wochen- oder sogar monatelang, überhaupt nicht mehr schmerzfrei ausgeübt werden. Die Ausführung der Körperlichen Yogapraxis ist somit unter Schmerzen oder nur bedingt möglich. Dieses Hindernis wird zum ständigen Begleiter auf der Yogamatte. Wie mit der Herausforderung umgegangen wird, kommt auf den einzelnen Yogaschüler an. Klar ist, dass die Yogapraxis beim Ausführen der Asanas modifiziert werden muss. Diese Veränderung kann zu negativen Gefühlen führen. Plötzlich scheint auf der Matte vieles nicht mehr liebe- und friedvoll zu sein. Die Krankheit steht im Vordergrund und die Frustration steigt. Ein Nährboden für negative Gemütszustände wird geschaffen.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle über meine eigene Beobachtung berichten. Durch Hilfsmittel wie Gurte, Blöcke und Bolster können einige Asanas trotz Verletzung praktiziert werden. Eine modifizierte Yogapraxis ist auf jeden Fall besser als die Yogapraxis einzustellen. Mein Blick auf meine Praxis hat sich geändert. Ich praktiziere bewusster und achtsamer. Pranayama und Meditation haben mir dabei geholfen positiv zu bleiben, auch wenn es manchmal schwer war. Ein liebevoller und friedvoller Umgang mit sich und seinem Körper beschleunigen den Heilungsprozess und stabilisieren die Bhavanas. Anna-Rita Bechtel


Quellenangaben:


  • 1 R. SRIRAM, Patanjali Das Yogasutra von der Erkenntnis zur Befreiung Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. SRIRAM, Seite 32

  • 2 Vgl. R. SRIRAM, Patanjali Das Yogasutra von der Erkenntnis zur Befreiung Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. SRIRAM, Seite 60

  • 3 Vgl. R. SRIRAM, Patanjali Das Yogasutra von der Erkenntnis zur Befreiung Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. SRIRAM, Seite 30

  • 4 R. SRIRAM, Patanjali Das Yogasutra von der Erkenntnis zur Befreiung Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. SRIRAM, Seite 63

  • 5 Vgl. R. SRIRAM, Patanjali Das Yogasutra von der Erkenntnis zur Befreiung Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. SRIRAM, Seite 61

  • 6 Vgl. Ray Long, Yoga Anatomie 3D, Die wichtigsten Muskeln Band 1, S. 174

  • 8 Vgl. Dr. med. Alexander Hebisch, Wer ist vom Impingement-Syndrom betroffen? Handout Schelztor Klinik

Handout: Dr. med. Alexander Hebisch, Behandlungsmöglichkeiten des sogenannten Impingementsyndroms bzw. einer Schleimbeutelentzündung des Schultergelenks, Publikationsjahr unbekannt, Handout Schelztor Klinik Bücher:

  • Patanjali, Das Yogasutra, von der Erkenntnis zur Befreiung, Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. Sriram, 2. Erweiterte Auflage 2003

  • Patanjalis Yogasutra, Der Königsweg zu einem weisen Leben, Ralph Skuban, 5. Auflage, 2011

  • Yoga Anatomie 3D, Die wichtigsten Muskeln Band 1, Ray Long, 10. Auflage 2021

  • Anatomie Malatlas, Wynn Kapit, Lawrence M. Elson, 3. aktualisierte Auflage, 2008 Websites: https://www.gesundheitsinformation.de/wie-funktioniert-die-schulter.html


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